“Früher hieß es ‘Türken raus’, heute heißt es ‘Erdoğan-Wähler raus’. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Politik und Medien sind aufgefordert, ein Zeichen zu setzen und der Zunahme türkenfeindlicher Stimmung entgegenzuwirken”, erklärt Mustafa Yeneroğlu (AK Partei), Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der Großen Nationalversammlung der Türkei. Anlass ist die sprunghaft angestiegene Zahl der Übergriffe auf Türkeistämmige und ihre Einrichtungen seit der Volksabstimmung in der Türkei sowie die sogenannte Integrationsdebatte auf dem Rücken jener Wähler, die für die Verfassungsreform gestimmt haben. Mustafa Yeneroğlu weiter:
“Die zunehmende türkenfeindliche Stimmungslage in Deutschland hat einen gefährlichen Level erreicht. Nahezu täglich erreichen uns Schreckensmeldungen über Gewalttaten, Vandalismus, Diskriminierungen oder Ausgrenzungen. Ziel dieser Angriffe sind meist Bürger, die sich bei der Volksabstimmung für die Verfassungsänderung ausgesprochen haben beziehungsweise Bürger, von denen man annimmt, dass sie dafür gestimmt haben.
So werden Häuserfassaden von Moscheegemeinden mit mehrheitlich türkischen Mitglieder mit ‘Fuck AKP’-Parolen beschmiert, Menschen werden auf offener Straße angepöbelt, angespuckt und beleidigt, Ärzte verhängen per Aushang ‘AKP Wähler’ von der Behandlung aus oder Ladenbesitzer bitten sie, draußen zu bleiben. Hinzu kommen zahlreiche Hass- und Drohbriefe, die in Briefkästen von Türkeistämmigen geworfen werden. Viele Menschen sind in höchstem Maße verunsichert und sorgen sich um das Wohl ihrer Kinder und um ihre Zukunft in Deutschland. Das sind nicht akzeptable Zustände.
Allen voran Politiker, die sich lautstark in die türkische Volksabstimmung eingemischt und Stimmung gegen das ‘Ja-Lager’ gemacht haben, sind jetzt aufgefordert, ein Mindestmaß an demokratischer Haltung zu zeigen und solche Schandtaten öffentlich zu verurteilen. Es zeugt nicht von einem ausgeprägten Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis, wenn ausgerechnet dieselben Politiker nun wegsehen und schweigen. Aber auch der Glaubwürdigkeit der übrigen Politikerlandschaft und der Öffentlichkeit täte sehr gut, jetzt Haltung zu zeigen.
Scharf verurteilt gehört in diesem Kontext auch die Debatte über vermeintliche Integrations- oder gar Bildungsdefizite von Türkeistämmigen, die für die Verfassungsreform gestimmt haben. Das ist eine unsägliche Unterstellung und zeugt ebenfalls nicht von einem akzeptablen Demokratieverständnis. Dass ausländische Wähler in Deutschland aufgrund ihres Wahlverhaltens an den Pranger gestellt und einer Gesinnungsprüfung unterzogen werden, dürfte in dieser Form bis dato einmalig sein.
Deutschland ist nicht nur selbst betroffen, sondern auch umzingelt von EU-Staaten, in denen rechtsextreme Parteien regelmäßig von einem Wahlerfolg zu nächsten marschieren. Es ist höchst befremdlich, dass es sich eine Regierungspartei wie die Ak Partei zum Feindbild macht, die in einem beispiellosen Kraftakt mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen hat und mit dem Flüchtlingsabkommen auch noch dafür sorgt, dass Europas Rechtspopulisten der Wind aus den Segeln genommen wird.
Früher hieß es in Deutschland ‘Türken raus’, heute heißt es ‘Erdoğan-Wähler raus’. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Der einzige Unterschied scheint zu sein, dass ‘Türken raus’ noch auf einen gesellschaftlichen Widerstand stieß, während ‘Erdoğan-Wähler raus’ auf einem breiten Konsens zu fußen scheint. Öffentlichen Widerspruch habe ich bisher jedenfalls nicht vernommen. Das stimmt in höchstem Maße traurig und wirkt bedrohlich. Politik und Medien müssen dem unverzüglich gegensteuern, wenn sie nicht wollen, dass die Gesellschaft nicht noch mehr nach rechts abdriftet.”
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